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Grußwort zum Fachgespräch „Ein Gesundheitsplan für Hessen“

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde,

liebe Christiane Böhm,

ich wäre heute sehr gerne nach Wiesbaden zum gekommen und habe mich über die Einladung zu einem Grußwort sehr gefreut. Der Bundestag berät heute über die Katastrophale Situation in Moria, sodass ich leider kurzfristig absagen musste.

Ich möchte Euch herzlich danken, für Eure Initiative und Euer Engagement für eine solidarische Gesundheitsversorgung in unserem Bundesland und die Erarbeitung dieses – wie ich finde, sehr gelungenen – Gesundheitsplans für Hessen.

In den letzten Monaten konnten wir bedingt durch die Corona-Pandemie mitterleben, wie sich die Probleme unseres Gesundheitswesens wie unter einem Brennglas offenbart haben: Insbesondere beim Infektionsschutz wurden schwere Versäumnisse deutlich, wie die fehlenden Vorräte an Schutzmaterialien, Atemschutzmasken oder die fehlenden Bettenkapazitäten für den Pandemiefall. Vor allem aber traten die Folgen der neoliberalen Gesundheitspolitik mit aller Schärfe zutage, die CDU/CSU, SPD, Grüne und FDP in den letzten Jahrzehnten durchgesetzt haben. Auf dem Rücken von Pflegekräften und Patient*innen wurde die rücksichtslose Kommerzialisierung der Gesundheitsversorgung vorangetrieben: Bis weit in die 1980er Jahre wurden Krankenhäuser kostendeckend finanziert. Seit 1985 aber wurde das deutsche Gesundheitssystem nach und nach auf Wettbewerb ausgerichtet. 2003 wurden mit der Einführung des Fallpauschalen-Systems Fehlanreize zur Über- oder Fehlversorgung von Patient*innen geschaffen. Es wurde stark am Personal gekürzt. Pflegekräfte werden seither gering entlohnt und sind einer hohen Arbeitsbelastung ausgesetzt. Der Pflegenotstand ist die Konsequenz! Umso notwendiger ist es, dass wir dagegen steuern. Es bedarf endlich einer dauerhaft besseren Vergütung und gesellschaftlichen Aufwertung aller Pflege- und Sorgearbeit. Die Strukturen unseres Gesundheitswesens müssen von Grund auf demokratisch und transparent umgestaltet werden. Das heißt auch: mehr Mitbestimmung für die Beschäftigten und Patient*innen sowie Menschen mit Pflegebedarf. Das Fallpauschalen-System muss zugunsten einer gemeinwohlorientierten Selbstkostendeckung abgeschafft und die Kliniken müssen wieder in die öffentliche Hand überführt werden. Denn die Krise zeigt umso mehr, dass Wettbewerb zur Steuerung der Versorgung grundsätzlich ungeeignet ist.

Versorgungsstrukturen dürfen nicht abgebaut, sondern müssen sinnvoll und innovativ ergänzt werden! Unsere gemeinsame Aufgabe ist, die Bürger*innen, Beschäftigte und Patient*innen vor Ort darin zu unterstützen, genau die qualitativ hochwertige und bedarfsgerechte Gesundheitsversorgung zu bekommen, die sie benötigen. Das betrifft nicht nur Kliniken, sondern auch die Strukturen der ambulanten Versorgung, wie Arztpraxen, Pflegedienste und Heilmittelerbringende.

Hessen ist ein Bundesland mit vielen ländlichen Regionen. Hier droht zum Teil eine massive Unterversorgung oder es gibt sie sogar schon. Die Folgen sind weite Wege und lange Wartezeiten für Patient*innen. Ärzt*innen erhalten für die Behandlung von Privatversicherten mehr Geld als für die Behandlung von gesetzlich Versicherten. Auch deshalb sind Arztpraxen in wirtschaftsschwachen Regionen schwerer zu besetzen als Arztpraxen in Regionen, in denen viele Privatversicherte und Besserverdiener*innen wohnen. Das ließe sich durch eine solidarische Gesundheits- und Pflegeversicherung ändern, in die alle einbezahlen, wie DIE LINKE sie fordert. Es gibt allerdings ein drängendes Problem: viele ältere Ärzt*innen werden in den kommenden Jahren in den Ruhestand gehen und suchen nach Lösungen für eine Praxisnachfolge. Der Verkauf an Investoren, sogenannte Private Equity Gesellschaften, erscheint für sie als einfach Lösung, zumal diese finanzkräftig sind. Das Geschäftsmodell von Private Equity sieht vor, Arztsitze, Pflegeheime oder Krankenhäuser temporär zu erwerben, diese zu optimieren und weiter zu verkaufen, um Rendite zu erwirtschaften. Wir aber müssen verhindern, dass solche Heuschrecken den Gesundheitssektor als Spekulations- und Anlageobjekt missbrauchen und stattdessen soziale und nachhaltige Versorgungsstrukturen in der Umsetzung unterstützen. Unsere Lösungen – die erfreulicherweise auch im Gesundheitsplan erwähnt werden – reichen dabei von der Förderung von Kommunen, um eigene Medizinische Versorgungszentren und Polikliniken zu gründen bis hin zu integrierten Versorgungformen, wie mobilen Praxen und regionalen Gesundheitszentren. Modellprojekte, wie wir sie in Hessen zum Beispiel mit dem Medibus im Werra-Meißner-Kreis haben, dürfen nicht wirkungslos verpuffen.

Ich bedauere sehr, selbst heute leider nicht anwesend sein zu können, um mich über all diese interessanten Konzepte und auch die Frage ihrer Umsetzbarkeit unter den gegebenen politischen Verhältnissen austauschen zu können. Umso mehr freue ich mich auf die zukünftige, gemeinsame Zusammenarbeit – für eine solidarische, flächendeckende Gesundheitsversorgung in Hessen, zu der alle Menschen in gleichem Maße Zugang haben sollen.

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